Ein neuer Brief von Ralph: Tag des Gerichts

CN: Polizeigewalt, Schmerzgriffe [Anmerkung abtippende Person]

Dies ist mein Gedächtnisprotokoll vom 17.11.2022. zu diesem Zeitpunkt saß ich ca. 57 Tage in Haft in der JVA Cottbus Dissenchen. Am besagten Tag war die Hauptverhandlung unseres Prozesses angesetzt. Im Vorfeld haben unsere Anwältis bewirkt das Ava und ich gemeinsam abgehandelt werden. Ich für meinen Teil habe mich auf den Prozess gefreut, da dieser „Klarheit“ verschafft. U-Haft fühlte sich für mich an wie ein Becken mit Gelée, wo man weder vorwärts noch rückwärts kommt. Ein Prozess bringt so in gewisser Form Klarheit. 

Der Tag beginnt mit einer unruhigen Nacht, Gedanken über verschiedene Szenarien wie Freiheit, weitere Haft, an Ava, das Sehen von Unterstützenden und der Ausbruch aus der Monotonie der Haft hielten mich wach. 
Um ca. 6:00 werde ich dann, wie jeden Morgen, geweckt, jedoch mit der Unterschied, dass ich aufstehe, mich anziehe, und mich duschen gelassen werde. Auch trinke ich Kaffee um mich selbst zu erwecken. Dann gehts raus aus dem Haftraum in eine Wartezelle, dort steht ein anderer in Straßenklamotten und löst ein Kreuzworträtsel, ich bin nervös, überlege welche erste Verlautbarung ich verlesen soll. Ich hatte drei an der Zahl, eine ist sehr meinungs-geprägt, zweite sehr juristisch, gespickt mit Sätzen aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts eine weitere etwas emotionalisierende Erkläung. 

Während ich auf und ab und wieder auf und ab in der Wartezelle laufe, kommen zwei beamte, geben mir ne Plastiktüte mit zwei Käsebroten und einem Liter Wasser, legen mit klobige Handschellen an, ich schnappe mir noch meine texte und werde in einen Bus gebracht. zu diesem Zeitpunkt ist es 7:45. Im Bus schaute ich aus dem Fenster und singe leise aber hoffnungsvoll einige Lieder. Die Zellen im Bus sind aus weißem Plastik und Stahl, das Fenster ist vielleicht  5 Centimeter hoch und 15 breit. Ich weiß, dass die Fahrt rund 15-20 Minuten dauert, dennoch verfliegt die Zeit. Im Gericht angekommen geht es durch den Hintereingang rein und ich komme erneut in eine Wartezelle. Irgendwann geht die Tür auf, mir werden wieder Handschellen angelegt und es geht zwischen zwei Beamtinnen hoch in den Saal. Auf dem Weg sehe ich Ava und freue mich ein positives Gesicht zu sehen. 

Der Saal ist klein, zwei Reihen an zwei [Wort nicht lesbar] in der vordersten Reihe sitzen 4 Bedienstete, doch in den hinteren sehe ich positive Gesichter und freue mich! An dieser Stelle, vielen Dank für euer aller Kommen! Die Sitzung wird eröffnet die beiden Staatsanwältinnen, einer männlich gelesen, eine weiblich gelesen werden vorgestellt, Richterin stellt sich vor, alles nimmt seinen Gang. 

Ich sitze da mit leichten Magenkrämpfen und drehe meinen Stift in der Hand. Als erstes erhält Ava das Wort, und verliest eine richtig krasse Rede. Ich lausche gespannt, während das Versagen der Klimapolitik Stück für Stück aufgeschlüsselt wird. Leider kann ich jetzt (22.11.) nicht mehr zitieren, aber nur empfehlen sich mal durchzulesen. Währendessen schießt mir meine, im vergleich mickrige Rede durch den Kopf. 
Dann komme ich an die Reihe, verlese mein Statement, setze mich wieder und beobachte die Staatsanwaltschaft. Dann werden einige Fotos gezeigt von einem Laptop mit Windows 7. Mir erscheint das irgendwie witzig, wie die Justiz im technischen Sinne hinter der Zeit ist. Es folgen Beweisanträge mit Tatsachen wie, dass die Klimakrise existiert, das CO2 ein Treibhausgas ist und dass das Kraftwerk Jänschwalde die Krise mit anheizt, die Staatsanwaltschaft, vor allem der männliche Part, guckt, mit dem Gesicht zerknirscht, in unsere Richtung, als würde es ihn langweilen. 

Um ca. 10 gibt es eine Pinkelpause, also wieder Handschellen an, im Gänsemarsch runter, in die Zelle, Handschellen ab. Ich merke, das ich deutlich ruhiger bin, und mein magen nicht mehr rummotzt. Ich rauche eine Kippe, und das Spiel mit den Schellen beginnt erneut. Oben angekommen werden die ersten Zeugen vernommen, Staatsanwaltschaft fragt vor allem nach Blackouts, keiner der vernommenen LEAG Zeugen, außer einer, waren vor Ort, die anderen waren beim Krisenstab. Was bemerkenswert ist, alle Zeugen beantworteten die Fragen der Staatsanwaltschaft vorbildlich, jedoch wenn unsere Anwältis fragen drücken sie sich um jede Frage. Auf einige Fragen antworten sie mit Zitat „sag ich nicht“. Um die Lage weiter ins Absurde zu treiben müssen Fragen von Aussagen des Zeugens vor diesem diskutiert werden. Auch schaltet sich der männlich gelesene Staatsanwalt ein und befragt für den Verteidiger den Zeugen und dieser antwortet.
Etwa um 12:15 Gibts dann Mittagspause und Ava und ich werden in einer zelle gebracht. Das war toll. Wir tauschen uns über die letzten Monate aus, über die Zustände in Luckau-Duben, über die Petitionen von dort, über die Erwartungen an den Tag. 

Ich hatte große Erwartungen, weil für mich war es mit das Belastendste, dass es keinen Rahmen gab. Ava hat aus meiner Perspektive vieles mehr gefasst aufgenommen, was ich sehr bewundere, aufgrund ihrer Haftumstände. 
Um ca. 13:00 gehts weiter, also wieder Handschellen und Gänsemarsch. Auch gehts weiter mit Zeugen aus dem LEAG Krisenstab, welche weiter mit Aussagen auffallen wie „sag ich nicht“, der männlich gelesene Staatsanwalt spielt sich weiter als Vermittler auf und reagiert weiter gelangweilt und abwertend auf Feststellungen der Klimakrise. Ich höre weiter zu, im Schneidersitz sitzend und den Stift drehend. Die Bullenzeugen machen aber im Vergleich einen okayen Job, weil sie auf Fragen antworten. Auch kommt es nie anscheinend irgendwelchen Zeugen in den Sinn, dass dies eine Versammlung sei, was ein bisschen komisch ist, aber naja. 

Zwischen 17 Uhr und 18 Uhr gibts erneut ne Pause, wann genau kann ich leider nicht mehr konkretisieren. 
Da besprechen sich Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ava und ich werden wieder in ne Zelle gesperrt, essen unsere Käsebrote und ärgern uns über die Staatsanwaltschaft und den Hochdruckwasserhahn, der die Zelle zum schwimmen bringt. Wir scherzen gemeinsam und tauschen unsere verschiedenen Bedürfnisse weiter aus. Später kommen dann die Anwältis und sagen uns, dass die Staatsanwaltschaft mindestens 6 Monate Haft fordern wird. Dies tut die Staatsanwaltschaft, weil sie Zitat „Druck von oben hat“. Was genau ist leider unklar, aber auch nicht groß verwunderlich, wenn der CDU Justizminister von Brandenburg in der Presse von Verbrechern schwardronisiert. Auch ging in den Wochen davor viel Wirbel durch Politik und Presse, zu Aktionen der letzten Generation. Immer wieder forderte die CDU härtere Strafen, in Bayern sitzen Menschen in Präventionshaft etc. [Anmerkung: die Aktivistis sind inzwischen frei] Das Gericht ließ auch durchklingen, dass wenn heute kein Urteil gefällt werden würde, es zwischen 3-4 Monate liegen wird. Das war für mich zumindest nen ziemlicher Brocken. Also überlegten wir hin und her, wägten verschiedene Strategien ab und einigten uns darauf den Prozess heute zu Ende zu führen. Also wieder Handschellen an und im Gänsemarsch nach oben.
Im Saal wird noch ein Zeuge vernommen, Bweisanträge gestellt. die Staatsanwaltschaft verliest ihr Plädoyer, was sehr der Anklageschrift gleicht und spricht sich bei mir für 6 Monate und bei Ava für 8. Alle schauen sich leicht schockeirt um. Es wirkt weder wie ein Versprecher noch ein Ausversehn. Ob dies ein kläglicher Versuch der Spaltung war, weiß ich nicht. Jedoch kläglich allemal!

Dennoch macht mein Anwalt sein Plädoyer, wo nochmals alle Tatvorwürfe als nicht erfüllt herauskristalisiert werden. Dies war nur möglich, weil die Staatsanwaltschaft so unzureichend argumentiert hat, wie ich es selbst nicht für möglich gehalten habe. Würde ich in einer Prüfungssituation ähnliche Argumentationslücken aufweisen, würde ich sehr sicher durchfallen. Zurecht. 
Danach hält die Anwältin von Ava ein sehr gutes Plädoyer, wo sich auch das „Missverständnis“ zu den 8 Monaten aufgeklärt. Eigentlich wollte die Staatsanwältin 6 sagen. Danach waren alle im Saal merklich entspannter.
Dann ging es wieder zu ner 15 Minuten Pause bis zur Urteilsverkündung.

Unten angekommen überlege ich was ich noch zu sagen habe in diesem Prozess. Es ist gar nicht so leicht, weil weder Gericht noch Staatsanwaltschaft auf die Klimakrise eingehen. Auch sind meine Gedanken damit beschäftigt, ob ich weitere 2 Monate, ausgesperrt von allem gesellschaftlichen, freundlichen, ja ausgesperrt von allem lebendigen verbringen kann. Während des Prozesses hat die Staatsanwaltschaft immer wieder auf unsere Familien angespielt. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde ich hätte es bei Seite geschoben. Jedoch weiß auch ich, dass die Staatsanwaltschaft uns damit einschüchtern will, dass versucht wird so Druck aufzubauen. All das geht mir durch den Kopf und schon machts wieder block, block, die Tür schwenkt auf, Handschellen an und im Gänsemarsch in den Saal. 

Im Saal wieder angekommen, erheben sich viele für die Urteilsverkündung. Gleichzeitig bleiben einige aus Protest sitzen, als sie angedroht bekommen, dass sie dann den Saal verlassen müssen erhebt sich ein wundervoller Protest. Menschen singen, ich stimme mit ein. Die Wachhabenden schirmen mich und Ava ab. Ich danke euch für euren Protest. Auch jetzt beim Schreiben dieser Zeilen habe ich das Lied auf den Lippen und den Protest im Herz. 

So schnell wie der Protest kam, so schnell wurde dieser gewaltsam unterbunden. CO2Ps welche im Gang warteten waren sofort zur Stelle, drückten die Menschen zu Boden und verdrehten die Arme und Finger. Manche wurden rausgetragen, andere mussten auf Knien kriechend mit den Arm im Schmerzgriff den Saal verlasserrn. 

Nun, da der Raum fasst geleert war, konnte das Theater weitergehen, wobei Angeklagte, Anwälte, Staatsanwaltschaft und Gericht das Ende des Stückes kannten. Mit einer Urteilsverkündung gab es dann 4 Monate. 

Das Spiel mit den Handschellen kam zu seinem letzten Abgang von der Bühne des Saals. 
Unten wieder angekommen besprachen Ava und ich uns noch ein bisschen , dann kamen die Anwältis. Wir redeten über rechtliche Optionen, ich hatte das Gefühl, dass alle ausgelaugt und frustriert waren. es waren knapp 12 Stunden vergangen und das merkten alle. 
Als erstes verließen uns die Anwältis, dann wurde Ava weggebracht. In der Hektik nahm sie auch meinen Haftbefehl und meine drei Reden mit, was mir nicht wirklich auffiel. Aber an die Ava, hau raus, was du willst. 
Dann ging es zurück für mich, also Handschellen an, in nen Sixxer mit Gittern rein und rausgucken. An was ich da dachte, weiß ich nicht mehr. Im Gefängnis angekommen, fragte ich während meiner Durchsuchungen ob ich noch ein paar Brote haben könnte, weil meine Ration war 2 Käsebrote und 1 Liter Wasser. Dies wurde verspeist, dann gings in die Zelle, ich konnte noch die Hälfte der Tagesschau um 8 zur Hälfte sehen und schaute noch nen Film im Fernsehn. 

Weil ich damit gerechnet hatte, hat ich mir von den vorherigen Tagen etwas aufgespart und aß dann mein Abendbrot mit Margarine. Irgendwann machte ich den Fernseher aus und schlief ein. 

Ich schreibe diesen Text mit einigen Tagen Abstand, leider ohne Notizen, aber selbst Schuld 🙂

Ich möchte nochmals allen danken, die beim Prozess waren, die uns unterstützen, die Briefe schreiben, die sich aktiv für mehr Klimaschutz und eine bessere Zukunft anstrengen. Ich will euch sagen, ihr seid nicht allein selbst wenn es sich so anfühlt. 

Klimaschutz bleibt Handarbeit! 

RALPH

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